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Norbert Siegl: 

Kulturphänomen Graffiti.
Das Wiener Modell der Graffiti-Forschung


Teil 2: Das Wiener Modell der Graffiti-Forschung, Grundlagen der Graffitiforschung, Kollegen und Ansätze, Die Fundorte, Graffitientfernung

last update: April 2018


Das Wiener Modell der Graffiti-Forschung

 

Die Graffiti-Forschung, wie sie hier in Wien entwickelt wurde, führt Erhebungen und Auswertungen mit einem Maximum an Empirie und Methodik durch und orientiert sich in erster Linie an tatsächlich auffindbaren Basismaterialien, weniger an theoretisierenden Literatur-Konvoluten. Dazu war es nötig, die Dokumentationstechniken, allen voran die digitale fotografische Erfassung, die Bildaufbereitung und die digitale Archivierung zu professionalisieren.

Die inhaltsanalytische Klassifikation ist inzwischen bei einem 23 Variablen umfassenden und erweiterbaren "multivariablen Klassifikationssystem" angelangt (siehe Grafik):

Das heißt, dass jedes Graffito auf möglichst vielen Ebenen oder Variablen klassifiziert wird, um so der Vielschichtigkeit und Komplexität dieser Kommunikationsform gerecht zu werden und ein Maximum an Information zugänglich zu machen. Die Archivierung traditionellen Bildmaterials, die rein materiell bedingt immer nur monovariabel erfolgen kann, nimmt in erster Linie auf die thematische Aussage (Variable 15) Rücksicht.

Eine wirklich praktikable Erfüllung des multivariablen Systems ist nur über Computertechnologie möglich, indem jedes Item gescannt, multivariabel codiert und dadurch vielfach abrufbar wird. Arbeiten dazu finden im Rahmen der Instituts- und Archivarbeit statt.


 

Graffiti-Forschung als angewandte Wissenschaft


Neben der europaweiten Dokumentation von Graffiti entstanden einige große Arbeiten mit festumrissenen Fragestellungen, in denen die Möglichkeiten der frei emittierten Items genützt wurden. Die genauen Ergebnisse sind jeweils in eigenständigen Publikationen festgehalten, ich beschränke mich daher hier auf eine kurze Beschreibung und einen weiterführenden Link:


 

 

1994, Klotüren aus einer großen österreichischen Universität


1. Klograffiti (primäre Berücksichtigung der Variablen 15, 8 und 4) mit Blick auf geschlechtstypisches Kommunikationsverhalten und Inhalte. Dabei stand die fundortspezifische Erhebung im Vordergrund, bei der ein Maximum an Homogenität angestrebt wurde, um die klassischen Methoden der Inferenzstatistik anwenden zu können. Insgesamt wurden in die Untersuchung 2.183 Items einbezogen. 

Diese Arbeit aus dem Jahr 1991 wurde von Frau Mag. Monika Bauer 1999 mit einer Sequenz für eine Längsschnittstudie erweitert ("Toilettengraffiti im Lauf der Zeit", auf Basis von rd. 3.500 neu erhobenen Items). Somit ergab sich, erstmalig in der Graffiti-Forschung, die Möglichkeit, die Entwicklung der Items über einen längeren Zeitraum zu verfolgen.

Internet: http://www.graffitieuropa.org/klograffiti.htm
 




2. die Studie "Kulturphänomen Graffiti. Ein internationaler Vergleich" (primäre Berücksichtigung der Variablen 15 und 3) im Auftrag des österreichischen Wissenschaftsministeriums.

Dabei wurden, bei einem Maximum an Heterogenität, die Graffiti dreier Erhebungszonen (Wien, Berlin-Ost und Berlin-West), in einer qualitativen Analyse nach thematischen Unterschieden untersucht. Insgesamt wurden 9.000 Items einbezogen. Eine vereinfachte Fassung der Studie wurde 2001 als Graffiti-Enzyklopädie veröffentlicht und ist im Buchhandel erhältlich: http://www.buchhandel.de/ 

Literaturhinweis:
Norbert Siegl, 2001: Graffiti-Enzyklopädie. Von Kyselak bis HipHop-Jam. ISBN 978-3-85437-199-1, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, Wien

Internet:
http://www.graffitieuropa.org/enzyklopaedie.htm und
http://www.graffitieuropa.org/berlingraffiti.htm
 





 

Der Berliner Bär wird geröstet - Fassade eines
besetzten Hauses in Berlin Mitte, 1995



 

 

3. die themenspezifische Untersuchung "Rechtsextreme Symbole und Parolen. Graffiti und Sticker als Medium interkultureller Kommunikation"

Primäre Berücksichtigung der Variablen 3 und 15. Anhand von rd. 900 Graffiti aus einer Erhebungszone (Wien, alle Bezirke) wurde eine genaue Differenzierung fremdenfeindlicher, neofaschistischer, antisemitischer, rassistischer, ... Inhalte vorgenommen - siehe Grafik links.

Literaturhinweis:
Dieter Schrage und Norbert Siegl, 2008: Rechtsextreme Symbole und Parolen. Graffiti und Sticker als Medium interkultureller Kommunikation. ISBN 978-3-901927-20-1, graffiti edition, Wien - mit 275 Fotos aus dem Bereich der rechten (Jugend-)-Kultur, alle aktuellen Symbole und Tendenzen in Wort und Bild erklärt.

Internet: http://www.graffitieuropa.org/rechtsextremismus.htm

 





4. das Dokumentationsprojekt "TRAINS&LINES - Graffiti im öffentlichen Verkehrssystem"

Primäre Berücksichtigung der Variablen 1, 2, 3, 8, 9, 11, 23 - Berichte und Fotomaterial werden laufend in der Graffiti-Enzyklopädie online veröffentlicht, Forschungen/Datenerhebungen finden in Form einer Längsschnittstudie mit kurzen Intervallen statt.

Internet:
www.graffitieuropa.org/enzyklopaedie.htm
 

 


 

 

 

 

 

 

 

 




 

 

 

Wahlplakate - Österreich - Deutschland

 

 

 


 



5. das Dokumentationsprojekt "Graffiti auf Wahlplakaten"

Primäre Berücksichtigung der Variablen 1, 2, 3, 22 - das Projekt wird seit 1990 in Österreich und Deutschland (v.a. in Berlin, Potsdam, Wien, Graz, München, ...) durchgeführt und zeigt Interaktionen mit den Plakaten des jeweiligen Wahlkampfes. Die Aussagen sind sehr zeitspezifisch - insoferne ein Projekt zur alternativen Geschichtsschreibung.

Internet:
www.graffitieuropa.org/wahlplakate.htm

 


6. das Projekt "Online-Enzyklopädie der Graffiti-Forschung"

Schließt an die Papierversion der 2001 veröffentlichten Graffiti Enzyklopädie an. Mitarbeit internationaler Experten, vorwiegend aus dem deutschen Sprachraum. Besteht 2013 aus rd. 11.000 online verfügbaren Daten, veröffentlicht in 361 News-Artikeln.

Link:
http://www.graffitieuropa.org/enzyklopaedie.htm



 


 

Grundlagen der Graffitiforschung, Feldforschung

Grundsätzlich ist die Feldforschung Grundlage einer empirischen, induktiven Graffitiforschung und es wäre wünschenswert, wenn alle Veröffentlichungen über Graffiti auf dieser Basis beruhen würden. Dadurch würden der Fachwelt viele überflüssige, theoretisierende "Betrachtungen" zu Graffiti erspart und die wenigen überbleibenden, würden an Validität der Aussage gewinnen. 
Begibt man sich in in den öffentlich zugänglichen Raum, setzt man sich zugleich negativen und positiven Erlebnissen und Begegnungen aus. Ersteres manchmal mit älteren Menschen, denen der Zugang zu dieser Kulturform fehlt, zweiteres besonders mit Kindern und Jugendlichen, denen es oft großen Spaß macht, sich an der Suche nach Graffiti zu beteiligen und die zumeist über gute Kenntnisse "verborgener Plätze" verfügen. Die Feldforschung erfordert eine gewisse Fitness und Beweglichkeit und die Bereitschaft, sich unter die Leute zu begeben und die Stadt auch jenseits der Vorzeigeviertel kennen zu lernen. 
Die schönsten Graffiti begegneten mir weit weg von den Touristenpfaden, in Hinterhöfen, Parks und Stiegenhäusern. Bei diesen Erhebungen ist ein gewisses Feingefühl angebracht, da bei manchen Leuten auch Verunsicherungen entstehen können, wenn man Graffiti in ihrem Territorium fotografiert. 

Nach den Dokumentationen, muss später mit gleicher Sorgfalt die Archivierung, Aufarbeitung und Analyse durchgeführt werden, für die klare Regeln vorgegeben sind.

 

 

 

Feldforschung in Berlin, 1994


 

Kollegen und Ansätze, die wichtigsten Namen

Graffiti-Forschung war in der Anfangszeit meiner Arbeit (1970er-Jahre) eine sehr einsam betriebene Wissenschaft, für die nicht allzu viel Verständnis in der Öffentlichkeit zu finden war. Der erste Kollege im eigentlichen Sinne, den ich um 1980 kennen lernte, war der Sexualwissenschaftler Ernest Borneman, der mich sehr ermutigte meine Arbeit auf diesem Gebiet fortzusetzen und durch den sich im Laufe der Zeit einige Bekanntschaften entwickelten. So unterschiedlich wie die Personen, sind auch die Forschungs-Ansätze, die verfolgt werden:

Bornemans Graffiti-Forschung war stark von seiner eigentlichen wissenschaftlichen Arbeit geprägt. Er nutzte Graffiti zur Verifizierung seiner Theorien über das kindliche Sexualleben und es gibt dazu einige bemerkenswerte Publikationen von ihm.

Axel Thiel - Graffiti-Archiv Kassel:

Axel Thiel begann etwa um die selbe Zeit wie ich (1970er-Jahre) mit seinen Forschungen. Es gab jahrzehntelang lebhaften Austausch im Zuge der gemeinsamen Arbeit in der "international working-group on graffiti-research". Thiel gründete einen Graffiti-Fachverlag und baute in Kassel im Namen der Arbeitsgruppe Graffiti ein Archiv auf, das v.a. von Studenten genützt wurde. 

Methodische Differenzen führten dazu, dass sich Thiel Mitte der 1990er-Jahre von der empirischen Graffiti-Forschung abspaltete. Er verlagerte seine Aktivitäten immer mehr ins Internet und in den englischsprachigen Raum. Es war ihm nicht vergönnt, mit seiner Arbeit die angestrebte akademische Anerkennung zu erlangen, Thiel verstarb 2006 im Alter von 61 Jahren. Was aus den brauchbaren Teilen des Bestandes in Kassel wurde, entzieht sich unserer Kenntnis, juristisch betrachtet gehören die Archivbestände den Mitgliedern jener Arbeitsgruppe, in deren Namen er die Bestände zusammentrug. Im Internet sind noch Fragmente seiner Arbeit zu finden. Eine objektive Beurteilung des vielfältigen Engagements Axel Thiels ist am ehesten beim Studium der rd. dreißigbändigen "EINFÜHRUNG IN DIE GRAFITTI-FORSCHUNG", erschienen in seinem Eigenverlag (AXEL THIEL VERLAG), möglich. Eine Gesamtausgabe seiner Arbeiten befindet sich im Bestand des Wiener Graffiti-Archivs und kann bei juristischen oder urheberrechtlichen Fragen eingesehen werden. Einen Nachruf finden sie auf: http://www.graffitieuropa.org/news/168.htm


Das Berliner Graffiti-Archiv:

Eine Kollegin, über die ich erstmals in einem Artikel im SPIEGEL erfuhr, und mit der ich 1994 und 1995 viele Forschungsreisen durch Berlin unternahm, ist Frau Mensah-Schramm. Sie geht ursprünglich von einem negativen Graffiti-Begriff aus, indem sie sich primär auf neofaschistische und fremdenfeindliche "Schmierereien" konzentriert, diese dokumentiert und anschließend vernichtet. Ihre Arbeit steht dabei v.a. im Zeichen eines von großem Mut und Engagement geprägten Politaktivismus, indem sie über diese Kommunikationselemente versucht, die Bevölkerung auf drohende (neofaschistische) Gefahren aufmerksam zu machen (bei bisher über 200 Ausstellungen). Ihre mutige Initiative wurde 2005 mit dem Erich Kästner Preis gewürdigt. Inzwischen erweiterte sie ihren Graffiti-Begriff ganz entscheidend und das ifg verdankt dem Berliner Graffiti-Archiv sehr schöne Bildbeiträge und eine seit 1994 durchgehende Pressedokumentation, die bereits Basis einer wissenschaftlichen Arbeit in der Universität Wien war.


Das Frankfurter Graffiti-Archiv:

Um das Jahr 2000 rührte sich ein junger Mann aus Frankfurt namens Saul Len bei uns und begann damit, laufend Dokumentationsmaterial zu senden. Nach und nach kam so eines der wichtigsten Graffiti-Dokumentations-Zentren Deutschlands zum Vorschein und Saul Len ist heute, neben Frau Mensah-Schramm, mein engster Mitarbeiter an der Graffiti-Enzyklopädie online - http://www.graffitieuropa.org/frankfurt.htm .

Archivierungstechnik des belgischen Forschers
Jose Lodewick: http://graffitieuropa.org/pochoirs.htm

Es beschäftigen sich international inzwischen so viele kompetente Leute mit Graffiti, dass alleine eine Zusammenstellung der wichtigsten Ansätze ein Buch füllen würde. 

Neben der Datenerhebung gibt es das Problem der Zugänglichkeit, der Daten, der Archivierung zu lösen. Eine einheitliche Lösung dafür hat sich - so wie bei anderen Datensammlungen auch - bisher nicht durchgesetzt. Je nach technischen Möglichkeiten, Kenntnissen der Computertechnologie und Art des Datenmaterials lösen Dokumentaristen dieses Problem unterschiedlich. In den Bildern links bietet Herr Lodewick aus Brüssel einen kleinen Einblick in seine (digitalisierte) Sammlung. 

Wir werden demnächst auf einer Subsite genauere Daten zur Verfügung stellen. Wichtige Artikel zu Graffiti finden sie auf http://graffitieuropa.org, hier einige Namen, die Erwähnung verdienen:

Stefan Lievens (Gent), Roger Avau (Brüssel), Reinhold Aman (USA), Fritz Pichler (Südtiroler Graffiti-Archiv), Jose Lodewick (Belgien), Franz Mandl (Österreich, Felsgraffiti-Archiv), Susan Farrell (USA), Dieter Schrage (ifg-Mitglied, Wien), Werner Hollender (Österreich), Luc Bucherie (Frankreich), Carolin Steinat (Deutschland), Monika Vykoukal (Österreich), Detlev Kraack (Berlin), Karl Herbert Mayer (Graz, Graffiti der Maya-Kultur), Jürgen Beyer (Fotosammlung: Graffiti in Kassel), Norbert Schnitzler (Graffiti-Archiv mit Bildern aus diversen deutschen Städten), Nicholas Ganz (Internationales Writing Archiv), Dessislava Terzieva (bulgarisches Graffiti-Archiv), Johannes Tichy (Graffiti-Dokumentation international), ...


 

Die Fundorte, mobil und stationär

Die Frage, wo man Graffiti findet, könnte man am besten mit "überall" beantworten. Hier eine kleine Fundorttypologie, in welcher die Vielfalt an möglichen Trägerflächen angedeutet wird: 


Ein aktuelles Projekt des ifg beschäftigt sich mit Graffiti in
den diversen Verkehrssystemen - vorwiegend outside
(im Bild oben zusätzlich mobile Flächen, Wien 2008)


Im BIld oben eine Rarität aus einer westungarischen
Stadt, 2009 - Graffiti auf Dachziegeln - outside-Graffiti


Ortsspezifischer Spruch aus einer Berliner Toilette (inside-Graffito)

Grundsätzlich kann man dabei in stationäre und mobile Flächen unterteilen, die im inside- oder outside-Bereich liegen. Einige davon möchte ich kurz erwähnen: 

Entsprechend der Methodik bei größer angelegten Erhebungen orientiere ich mich zuerst v.a. am öffentlichen Verkehrsnetz, wo es viele unterschiedliche Flächen gibt. So sind die großen Pieces der Sprayer meist entlang der Hauptverkehrslinien, manchmal auch an den Fahrzeugen selbst, zu finden. 

Anders sind die Graffiti in Warteräumen, auf den Bahnsteigen oder in den Toiletten geartet. Liegen Stationen im Bereich von Schulen, so findet man dort sehr viele altersspezifische Aussagen, meist zum Thema Liebe, aber auch zu aktuellen Stars aus der Film- und Musikszene. Geht man von gruppenspezifischen Graffiti aus, so sind z.B. Touristengraffiti v.a. an jenen bekannten Sehenswürdigkeiten zu finden, die in den Reiseführern erwähnt werden, Graffiti von Fußballfans in der Nähe der großen Stadien. Auch hier, wie überall im Bereich Graffiti, determiniert die architektonische Möglichkeit die Anzahl der Hinterlassenschaften. Finden kann man Graffiti sowohl im Münchner Hofbräuhaus (dort in die klobigen Holztische geritzt), an der Siegessäule in Berlin, im Aufgang des Völkerschlacht-Denkmals in Leipzig, in den Türmen des Wiener Stephansdomes und in der Kuppel des Petersdoms, ... 

Eine spezielle Untergruppe - die Wallfahrer - hinterlässt ihre Bitten oft in den bekannten Kirchen, z.B. in Mariazell, Lourdes, Santiago de Compostella oder an Wänden im Vatikan. Will man diese Botschaften dokumentieren, muss man bedenken, dass dazwischen - meist in der "toten Saison" - Übermalungen stattfinden, denen die Graffiti zum Opfer fallen, und dass es dann oft längere Zeit dauern kann, bis wieder Inschriften vorhanden ist. 

 Andere klassische Orte der Graffitiproduktion sind öffentliche Parks, wo jede erdenkliche Fläche zum Träger einer Inschrift werden kann - Bänke, Tische, Mistkübel (Mülleimer), Bäume... Hier findet man auch oft die formal sehr reduzierten Baumritzungen, ein Graffitimotiv, das über Franz Schubert Einzug ins klassische Liedgut hielt. 

Orte sehr spezieller Graffitiproduktion können auch Prostituiertenstandplätze sein, wo manchmal mangels anderer Kommunikationsmöglichkeit Nachrichten von Verehrern zu finden sind. 

Bei meinen Forschungen begegneten mir Graffiti bis ins unterirdische Wien, wo Kanäle gelegentlich Aufenthaltsort von Obdachlosen sind. Sorgfältige Untersuchungen solcher schwer zugänglicher Orte erfordern einen großen Arbeitsaufwand und die Ergebnisse sind oft nur von begrenztem wissenschaftlichem Interesse und dienen eher der Dokumentation. 

Leichter zugänglich sind z.B. Bauhütten. In dieser reinen Männerkultur der Bauarbeiter trifft man oft Graffiti mit stark sexueller Komponente an, ebenso in öffentliche Toiletten, die manchmal als eine Art "schwarzes Brett" für sexuelle Anliegen fungieren. Zu letzterem gibt es einige Untersuchungen im Rahmen des Archivs. Die Studie über "Häufigkeiten, thematische Inhalte und geschlechtsspezifische Kommunikationsmuster" wurde aus methodischen Gründen an Graffiti aus Universitätstoiletten durchgeführt. In Toiletten gibt es, neben den schon erwähnten Themen, auch sehr viele ortsspezifische Sprüche (z.B.: "In fünf Minuten wird geschissen, wer länger scheißt wird rausgeschmissen", oder "Das ist der Ort an dem man scheißt, was man am Tag zuvor gespeist. Zum Glück, dass wir nicht speisen müssen, was wir am Tag zuvor geschissen"). Die Tradition solcher Sprüche ist alt, manche davon sind gleichlautend überall im deutschen Sprachraum zu finden, ebenso ist das Eindringen von Sprüchen aus dem angloamerikanischen Raum zu beobachten.
 


 

Graffitientfernung, Gebäudereinigung, Graffiti-Versicherungen

War die Graffitibeseitigung im öffentlichen Raum bis vor kurzem noch Aufgabe von konventionellen Reinigungstrupps der Stadtverwaltungen, drängten mit der explosionsartigen Verbreitung der Sprayer-Kultur und der so genannten Street-Art-Aktivisten immer häufiger spezialisierte Unternehmen auf den Markt. Heute ist Gebäudereinigung ein florierendes Gewerbe, in das enorme finanzielle Mittel fließen und wo modernstes technisches know how zum Einsatz kommt. Das reicht von Anti-Graffiti-Beschichtungen an Außenwänden, über Sandstrahlgebläse bis hin zum Einsatz von Laserkanonen, mit denen unerwünschte Farbschichten "wegradiert" werden können. Bei Recherchen in München im Jahre 1997 begegnete Frau Schaefer-Wiery und mir in einer Zeitungsnotiz erstmals die Mitteilung, dass es ein Unternehmen gibt, das Hausbesitzern "Graffiti-Versicherungen" anbietet. Heute ist dies eine Selbstverständlichkeit - hier ein Überblick über die Angebote.

Der ganz große Gewinner an der Writer-/Sprayer-/Street-Art-Bewegung ist und bleibt die Farbenindustrie, die spezielle Spraydosen mit deklariertem "Graffiti-Lack" anbietet und gleichzeitig Mittel zu dessen Übermalung, Beseitigung oder Verhinderung produziert.

Auch diverse Geschäftemacher treten unter dem Begriff Graffiti in Erscheinung und versuchen ihre Produkte einer meistens uninformierten Öffentlichkeit schmackhaft zu machen.


 

 

Angebot einer Wiener Firma - Graffitientfernung - dokumentiert
im Jahr 2001 - die unübliche Schreibweise zeigt die
Unsicherheit und Unwissenheit im Umgang mit dem Kulturphänomen Graffiti

 

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