|   05.02.02 - Interview
            für eine österreichische Kulturzeitschrift: Norbert
            Siegl im Gespräch mit Ute Langthaler. Einige Anmerkungen dazu: Zum Glück sind
            jene Zeiten vorbei, als  im journalistischen Bereich Graffiti
            als Grähfittü... - möglichst Kaugummienglisch verzerrt gesprochen
            - und die Writer als Sprüher bezeichnet wurden. Was immer noch
            kommt ist die Gleichsetzung des Plurals "Graffiti" mit der
            Writer- oder Sprayer-Bewegung im gesamten. Einfach ausgedrückt: Journalisten fragen meistens "Wohin geht
            Graffiti" und meinen damit "Wohin geht die
            Graffiti-Kultur". Würde man statt Graffiti
            "Menschen" einsetzen, würden sie fragen "Wohin geht
            Menschen?" - anstatt "Wohin entwickelt sich die
            Menschheit".....
 Was verstehen Sie unter
            Graffiti? (auch ohne Sprühdose? Mehr als Writing? Etc.)  
            
             Wir gehen wissenschaftlich
            an den Begriff Graffiti heran - und da sind Graffiti als eigenständige
            Kommunikationsform natürlich weit mehr als die moderne Formen des
            graffiti-writing. So gehören etwa Klo-Graffiti ebenso zum Begriff
            wie historische Graffiti...
            
             Seit wann gibt es
            "echte" Graffiti in Österreich und wie ausgeprägt ist
            die Szene im internationalen Vergleich?
            
             Was meinen sie unter
            "echte" Graffiti - meinen sie die writer-, sprayer-kultur???
            Es gibt keine unechten Graffiti, entweder es sind welche oder es was
            anderes! Am ehesten sind sie dann unecht, wenn versucht wird, sie in
            Galerien und auf Leinwände zu transportieren. Die Sprayer-Graffiti
            gibt’s in Österreich natürlich noch nicht so lange wie die
            anderen Graffiti-Varianten. Die Sprayer-Kultur mit ihren pieces und
            tags tauchte erstmals ende der 1980er-jahre auf. Anfang der
            1990er-Jahre war sie in allen großen österreichischen Städten
            nachweisbar vorhanden und es gab auch die ersten Verfolgungen auf
            initiative der ÖBB und lokaler Verkehrsbetriebe, allen voran den
            WIENER LINIEN, ..
            
             Was sind aus Ihrer Sicht die
            Antreiber, sich auf Wänden, Züge, Toiletten zu verewigen?  
            
             Die Motivation ist sehr
            unterschiedlich, je nach Graffiti-Variante... Ist es bei den
            Toilettengraffiti eher der "entlastende" Effekt, das Überdruckventil,
            bei den politischen Graffiti das Bedürfnis, eine Botschaft an die
            Menschheit zu richten, einzugreifen ins politische Geschehen... Bei
            der Sprayer-Kultur geht’s darum, durch herzeigbare Leistung
            Anerkennung und "fame" zu finden... Den Namen weiträumig
            zum Markenzeichen zu machen, oder mit der Spraydose künstlerisch
            hochwertige Pieces anzufertigen...
            
              
            
            Was sind die Lieblingsmotive der Österreicher? Sprüche?
            
             "Wer sind die Österreicher??
            Da müssten sie eine empirische Befragung durchführen... den
            Sprayern geht’s nicht darum, Sprüche in die Öffentlichkeit zu
            setzen, sondern darum, sich selber - szeneintern - und auch außerhalb
            - bekannt zu machen...
            
             Wie steht es um die
            Verfolgung von Sprühern in Österreich?  
            
             Inzwischen gibt’s in jeder
            der großen österreichischen Städte so genannte "walls of fame"
            wo Sprayer ungestört und legal ihre Werke hinterlassen können...
            aber es war ein langer Weg bis zur Anerkennung dieser Formen der
            Jugendkultur und am Anfang standen - inspiriert von Deutschland -
            massive polizeiliche Verfolgungen mit hohen  
            
            Geld- und auch Gefängnis-Strafen für einige Aktivisten. Die
            legalen Wände spielten eine große Rolle bei der
            Entkriminalisierung dieser Kulturform und Österreich ist diesbezüglich
            - trotz anfänglicher Rückschritte - sehr fortschrittlich
            gewesen... Illegale Graffiti-Aktivitäten werden polizeilich
            verfolgt und es gibt nach wie vor gelegentliche Verurteilungen wegen
            Sachbeschädigung. 
            
             Wo darf man noch legal
            Schablonen sprühen etc?  
            
             Einfach zu beantworten - an
            den dafür vorgesehenen Flächen! Die Kultur der Schablonengraffiti
            ist aber hierzulande weit weniger ausgeprägt als in anderen
            Regionen Europas...
            
             Veranstaltungen zu Graffiti
            - können Sie etwas empfehlen - Berlin Alexanderplatz?  
            
             Veranstaltungen gibt es
            immer wieder, in jeder größeren Stadt, meist im Zusammenhang mit
            HipHop-spezifischen Angeboten. In Berlin gibt’s aber natürlich am
            Alexanderplatz tatsächlich die Möglichkeit sich an
            bereitgestellten Flächen zu betätigen. Eine Dauer-Veranstaltung -
            die man jetzt empfehlen könnte gibt es nicht - die diversen walls
            of fame entsprechen dem am ehesten, sind szeneintern gut bekannt und
            ein Treffpunkt für künstlerisch motivierte Jugendliche.
            
             Gibt es eine unterhaltsame
            Geschichte zu Graffiti in Österreich? Wenn ja, welche?  
            
             Na, ja, vielleicht grad für
            Österreich interessant ist die Tatsache dass die Sprayer-Kultur
            ursprünglich von Wiener Kulturpolitikern importiert wurde aus New
            York - indem sie Sprayer einluden hier eine Garnitur der Linie J
            offiziell zu besprayen... Eine österreichische eigenständige Szene
            entwickelte sich erst viel später... Und dann waren es wieder die
            WIENER LINIEN, die zu den Vorreitern bei der Verfolgung zählten.
            
             Kann man Graffiti lernen?
            Woher bekomme ich das Know how über Sprühdosen? Was sind die
            Voraussetzungen, um ein guter Sprüher zu werden?  
            
             Unter anderem gab’s einige
            Workshop-Angebote des Instituts für Graffiti-Forschung, wo
            Jugendliche aus ganz Europa zusammenkamen und die Technik des
            Sprayens erlernten... Grosses Interesse gibt es auch von diversen
            Schulen immer wieder... Manche Lehrer - Kunsterzieher - veranstalten
            selber Workshops in der Schule. Die Grundlagen der Technik werden
            bei solchen Workshops gelehrt, ob jemand "gut" ist, hängt
            auch hier wie überall von den Fähigkeiten des einzelnen ab.
            
             Wohin geht Graffiti? Trends
            
             Was meinen sie mit dieser
            Frage? Geht Graffiti - was soll das heißen? Meinen sie, wie sich die
            Graffiti-Kultur weiterentwickeln wird?? Ja, dann: Graffiti
            entwickeln sich einerseits immer weiter, hin zur anerkannten künstlerischen
            Technik, die Motive werden sorgfältiger ausgestaltet, technisch
            perfekter angefertigt... Anderseits entwickelten sich grade im
            letzten Jahr die diversen Street-Art-Varianten sprunghaft und
            Stickers und Cutouts sind heute ebenfalls in jeder österreichischen
            Landeshauptstadt zu finden. Das gesamte Spektrum wird größer
            werden und es
            werden sich immer mehr Jugendliche  beteiligen... Ein Ende
            dieser Entwicklung ist noch lange nicht erreicht....
 
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