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Norbert Siegl:

Toiletten-Graffiti, Klo-Graffiti
Graffiti von Frauen und Männern

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Toilettengraffiti - Klograffiti aus Berlin. Kaum ein anderer Teilbereich der
Graffiti-Forschung beschäftigt ähnlich lange die Wissenschaft.

 

 

1992 wurde vom Institut für Graffiti-Forschung eine Arbeit durchgeführt, die sich mit der Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Toilettengraffiti beschäftigt. Es wurden 2.186 Graffiti in die Untersuchung einbezogen, die 1991 schriftlich und teilweise fotografisch erfasst wurden. Aufgrund der Anordnung der Toilettenkabinen konnte berücksichtigt werden, auf welches Proportionsverhältnis bei den potentiellen Produzenten die Graffiti zurückzuführen sind und bei der Erhebung wurden die äußeren Variablen, welche gleiche Haftbarkeit und Haltbarkeit der Graffiti gewährleisten, konstant gehalten. Die Fragestellungen wurden mit Methoden der empirischen Sozialwissenschaften untersucht. Dazu war es nötig, ein Kategoriensystem zu entwickeln - dieses geht von fünf Hauptkategorien aus, die weiter in 22 Subkategorien gesplittet wurden.

Die erste Untersuchungs-Hypothese bezieht sich auf die Unterschiede bei den generellen Häufigkeiten und wird insofern positiv beantwortet, als in Männertoiletten signifikant mehr Graffiti produziert werden als in Frauentoiletten. Bei diesem Ergebnis ist allerdings zu beachten, dass als Untersuchungseinheit die Einzeleintragung gewählt wurde. Wäre das Wort die Untersuchungseinheit gewesen, könnte das Ergebnis anders ausfallen, da Frauen Sachverhalte im allgemeinen viel ausführlicher, subtiler und genauer, somit auch "wortreicher" abhandeln.

Bei den thematischen Unterschieden sind ebenfalls in den meisten Kategorien (erstellt auf Basis einer Inhaltsanalyse) signifikante Unterschiede vorhanden, die deskriptiv-statistischen Ergebnisse finden sie am Ende des Artikels als gif-Grafik.

Die genauen empirischen Daten finden sie in den Publikationen der graffiti edition . Das Fotoservice des ifg bietet rd 3.000 Fotos zum Thema Klograffiti - Bildmaterial aus 35 Jahren, vorwiegend aus Berlin und Wien: http://www.graffitieuropa.org/foto.htm

Artikel im SPIEGEL-Archiv: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13679979.html

Norbert Siegl, Wien 2013 - http://members.chello.at/norbert.siegl/siegl.htm


Literatur:

Norbert Siegl, Hg., Reprint 2013: Toilettengraffiti aus einem Wiener Institutsgebäude, Teil 1, ca. 2.186 Graffiti. Sequenz 1991. ISBN 978-3-901927-04-1, graffiti-edition, Wien SOFORT LIEFERBAR

Norbert Siegl, Hg., Reprint 2013: Toilettengraffiti aus einem Wiener Institutsgebäude, Teil 2, ca. 3.500 Graffiti. Sequenz 2000. ISBN 978-3-901927-08-9, graffiti-edition, Wien SOFORT LIEFERBAR

Monika Bauer, 2002: Graffiti im Lauf der Zeit. ISBN 978-3-901927-14-0, graffiti-edition, Wien (zugleich Diplomarbeit an der Universität Wien) SOFORT LIEFERBAR

Norbert Siegl, 2001: Graffiti-Enzyklopädie. Von Kyselak bis HipHop-Jam. Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, Wien SOFORT LIEFERBAR

Susanne Schaefer-Wiery und Norbert Siegl, 2013: Der Graffiti-Reader. Essays internationaler Experten zum Kulturphänomen Graffiti und ein ausgewählter Bildteil aus der "Grafffiti-Dokumentation Europa". ISBN 978-3-901927-19-5, graffiti edition, Wien SOFORT LIEFERBAR

Norbert Siegl, 1992: Geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich Häufigkeit und thematischer Inhalte bei Toilettengraffiti. graffiti-edition, Wien (zugleich Diplomarbeit an der Universität Wien) (VERGRIFFEN)

Norbert Siegl, 1995: Kommunikation am Klo. Graffiti von Frauen und Männern. VG, Wien (VERGRIFFEN)

 

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Der Graffiti-Reader - Essays internationaler Experten,
überarbeitete Neuauflage, Reprint 2012



Schablonengraffito, Bereich Politik, Wand in Männerklo, Berlin 1992


Kategorie Politik:

Die Äußerung politischer Inhalte ist bei den Männern mit 55,61 % quantitativ der umfangreichste Bereich. In erster Linie prallen - in meist hochaggressiver Form - "linke" und "rechte" Positionen aufeinander, sodass man zurecht von Verbalkriegen sprechen kann, die an der Klowand ausgetragen werden. Ideologische Gegenpositionen werden mit aller Härte (Schimpfworte, verbale Angriffe, die bis hin zur Androhung der physischen Vernichtung des Gegners reichen) bekämpft.
Daneben ist aber auch das parodistische Element augenscheinlich - Witz, Überpointierungen entlarven oft das ernsthafte Engagement in seiner Lächerlichkeit. Imposant ist die große Vielfalt an Positionen und Stellungnahmen, die sich auf viele unterschiedliche Themen - meist tagespolitischer Art - beziehen.

Frauen thematisieren in diesem Bereich weit seltener - 7,54 % der Graffiti beziehen sich darauf - und wenn Konflikte ausgetragen werden, so geschieht dies in einer gemäßigteren Sprache. Es wird mehr aufeinander eingegangen und argumentiert. Es finden sich sogar Beispiele für persönliche Hilfestellungen, indem z.B. Entscheidungshilfe bei Wahlverhalten gegeben wird.

Politgraffiti werden zwar in vielen Untersuchungen erwähnt, kaum aber einer näheren Betrachtung unterzogen:
Ersichtlich ist, dass starke Korrespondenz mit äußeren zeitgeschichtlich-politischen Ereignissen gegeben ist. Die Inschriften dieses Bereiches gehen selten mit der vorherrschenden Parteienlandschaft und Ideologie konform - einerseits werden Extrempositionen ausformuliert - andererseits wird gezielt gegen die "Machthaber" opponiert und argumentiert.


Kategorie Sexualität:

Im sexuellen Bereich bestehen ebenfalls große (signifikante) Unterschiede. Männer (18,07 %) äußern sich in einer Art zum anderen und eigenen Geschlecht, die durchaus im Sinne von Kinsey stimulierenden Effekt, im Sinne Freuds der  Abfuhr von Triebenergie dienen könnte. Es fehlt bei den Männern weitgehend das persönliche Element, die Frau wird auf das weibliche Körperschema, bzw. auf die Geschlechtsmerkmale reduziert, was in vielen Zeichnungen zum Ausdruck gebracht wird. Unsicherheiten im Umgang mit dem anderen Geschlecht werden kaum geäußert, als erstrebenswerteste Befriedigungstechniken findet man Vaginalkoituspositionen (in vielen Varianten) und Fellatio. Für darüber hinausgehende sexuelle Bedürfnis des anderen Geschlechts findet man kein Problembewusstsein. Onanie und Homosexualität werde in manchen Graffiti propagiert und häufig stark negativ getönt abgelehnt.

Bei Frauen (29,78 %) findet man kaum Zeichnungen - weder des eigen- noch des andersgeschlechtlichen Organs. Vaginalkoitus wird selten und manchmal negativ erwähnt. Oft werden andere Möglichkeiten sexueller Betätigung diskutiert. Erkennbar ist in manchen Graffiti das Bemühen, auf die Bedürfnisse der Männer, oder was dafür gehalten wird, einzugehen - einerseits um optimale Befriedigung zu gewährleisten, andererseits klingt auch die Hoffnung durch, mit bestimmten Praktiken "den Mann halten zu können" und nie verlassen zu werden. Daneben werden auch viele eigene Bedürfnisse geäußert und es besteht ein reger Informationsaustausch mit anderen Schreiberinnen, besonders was Fragen der Virginität und des Orgasmus betrifft. Masturbation und Homosexualität werden selten angesprochen und es gibt auch keinen negativen Stellungnahmen dazu.

Gerade die Ergebnisse in diesem Bereich stehen teils in großem Widerspruch zu bisherigen Untersuchungen:
Von Männern ist die offene Darstellung sexueller Fragen seit der Anthropophyteia gut belegt und durchgehend dokumentiert. Bei den Frauen dürfte es sich - zumindest in der umfangreichen Form - um eine Erscheinung handeln, die sich erst in den letzten Jahrzehnten entwickelte. Kinsey schrieb noch 1953 davon, dass Graffiti sexuellen Inhaltes in Frauentoiletten kaum zu finden sind und führte dies auf "basale Unterschiede zwischen den Geschlechtern" zurück. Diese heftig bestrittene und häufig untersuchte Hypothese wurde in Nachfolgeuntersuchungen oft widerlegt.

Aber noch in einer Studie aus dem Jahre 1985 (Schaeffer-Hegel/Strate) wird von "geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Selbstkontrollen und Zensurmechanismen" gesprochen, die es Frauen verbieten, "breite und geile Lustempfindungen" zu äußern. In der von mir untersuchten Stichprobe war davon nichts zu bemerken und es könnte sein, dass sich hier die Hypothese Stockers (1972) als richtig erweist, wonach sich Frauengraffiti ändern werden, wenn sich bestimmte Aspekte der Kindheitssozialisation verändern.


Sexualzeichnung an einer (Männer-)Klotüre - Wien 1992


Sexuelles Angebot eines Mannes an einer (Frauen-)Klotüre, Wien 1996




Graffiti-Thema Liebe, abgehandelt an einer (Männer-)Klotüre, Berlin 2002

Kategorie Liebe:

Liebe wird bei den Männern kaum thematisiert (0,42 %), nimmt demgegenüber in Frauengraffiti großen Raum ein (11,96 %) - ein Phänomen, dass schon bei Lombroso (1899) und Kinsey (1953) erwähnt wird und offenbar ziemlich zeitkonstant vorhanden ist.


Kategorie Frauenspezifisches:

Der große Bereich, den ich wegen des weitgehenden Fehlens männlicher Stellungnahmen dazu, und da hier primär "Frauenanliegen" behandelt werden, Frauenspezifisches nannte, wäre, in Analogie zu "Politik" bei den Männern, die eigentliche Hauptdomäne in weiblichen Klograffiti (31,08 %). Hier werden traditionelle Frauenanliegen wie Schwangerschaft, Geburt, Empfängnisverhütung, Abtreibung, ..., ebenso abgehandelt wie persönliche Probleme, Beziehungskrisen, das Befinden der Frau in Institution und Gesellschaft, Benachteiligungen gegenüber Männern, Gewalt gegen Frauen und Kinder... Eine Analogie zur kurzen parolenartigen Sprache der Männer ist dann zu finden, wenn extremfeministische Graffiti geäußert werden. Insgesamt betrachtet ist aber in diesem Bereich das Bemühen vordergründig, zu positivem Konsens mit den Männern zu gelangen und Polarisierungen werden oft heftig abgelehnt.

In Graffiti aus Männertoiletten fehlen weitgehend Aussagen zu diesen Themen (1,27 %), umgekehrt ist auch kaum Selbstreflexion zur eigenen Rolle zu finden. Die Korrespondenz mit Zeitströmungen ist auch in diesem Bereich augenscheinlich und die Äußerungen sind meist so geartet, dass sie auch in einer anderen Öffentlichkeit, außerhalb des anonymen Raumes Toilette, ebenso diskutiert werden könnten.



Radikalfeminismus in einer Frauentoilette, weit verbreitet
in den 1980er-Jahren, Wien, 1991



Innsbruck 1997, Zauberspruch, Frauentoilette


Kategorie Diverses:

Bei der letzten Großgruppe - Diverses - sind die geringsten Unterschiede festzustellen. Die Ergebnisse auf der Ebene der einzelnen Subkategorien sind nicht signifikant (19,64 % : 24,63 %). Die "Kommunikation am Klo", "Skatologisches", "das Studium", "Namen und Grüße", "Drogen", "Religion" und "Rechtschreibung", "Nonsens" etc. werden ohne größere Unterschiede in Frauen- und Männertoiletten gleichermaßen abgehandelt .

Neben diesen Unterschieden auf Basis des Kategorienschemas, bestehen zusätzliche unübersehbare Andersartigkeiten bei der Kommunikation:

Männer drücken ihre Anliegen meist in kurzen Sätzen oder Reimen aus, wobei (v.a. im politischen Bereich) parolenartige Aussagen vorherrschen. Die Inhalte werden in einer Art vermittelt, dass sie in sich abgeschlossen erscheinen und keinen Wunsch nach der Meinung anderer Personen erkennen lassen. Es finden sehr viele Eingriffe in die Inschriften anderer Personen statt (durch Überschreiben, Durchstreichen, Hinzufügen, Unleserlich machen, Hineinschreiben, ...) und in den Dia- und Polylogen dominieren Aggressivität und Zynismus, seltener Witz. Gefühle und persönliche Probleme werde fast nie thematisiert und noch seltener verständnisvoll, konstruktiv beantwortet.

Frauengraffiti sind meist wortreicher. Lange Sätze und genaue Beschreibung von Sachverhalten dominieren. In vielen Fällen findet sich die Bitte um Antwort bzw. um die Meinung Anderer. Vorherrschend wird in sehr persönlichem Ton kommuniziert und meist freundlich aufeinander eingegangen. Gefühle und persönliche Probleme werden zum Ausdruck gebracht und meist konstruktiv beantwortet. Es gibt kaum aggressive Töne, gegenseitiges "Niedermachen" kommt vor, reichte in der untersuchten Stichprobe aber nie bis zur Androhung physischer Gewalt.

 

Diese Arbeit wurde 7 Jahre später von Frau Mag. Monika Bauer mit einer Längsschnittsequenz weitergeführt,
siehe dazu die Publikationen in der Literaturliste - www.graffitieuropa.org/edition.htm

Hinweis: Das Fotoservice des ifg bietet rd. 3.000 Fotos zum Thema Klograffiti - http://www.graffitieuropa.org/foto.htm


 

Deskriptiv-statistischen Ergebnisse der Untersuchung,
die unterschiedlichen Kommunikationsprofile:

©Norbert Siegl, 2013, Wien

Graffiti-Aufträge, Wandgestaltungen, zur internationalen Auftragsvermittlung
 

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