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„Virtuelle Graffiti: Die Bild-Wand Beziehung“

Projektion virtueller Graffiti von Desislava Terzieva


(Dem Publikum des Symposiums „Unizipping Philosophy“ wurde eine kurze Projektion virtueller Graffiti auf drei Hintergründe mit verschiedene materielle Strukturen – durchsichtigen Stoff, Wände des Saals und das Publikum selbst.)
Vorwort
 Ich präsentiere ein Kunstwerk, ein Experiment, durch meine Forschungsarbeit mit Graffiti als ein urbanes Phänomen inspiriert. Das ist auch ein Teil, ein Problemstück meiner Dissertation.

Graffiti erscheinen in der Stadt illegal. Sie sind eine vergängliche Sensation, die nur kurzzeitlich existiert, bevor sie wieder entfernt oder mit anderen Graffiti bedeckt werden kann. Sie lässt die Spur ihrer Existenz im Raum und dadurch involviert sie den Hintergrund in einem kreativen Prozess. (Hier halte ich mich nur an die künstlerische Art der Graffiti.)

Meine Arbeit mit dem Phänomen gleichzeitig im Bereich der Kunst und der Philosophie hat mich dazu gebracht das einzelne Graffito und sein Hintergrund, die Wand anders wahrzunehmen und eine Beziehung zwischen den beiden sehen zu können. Ich entdeckte einen intermedialen Punkt zwischen den beiden, der in der Zeit des Bestehens eines Graffito auf der Wand agiert und eine „aktive Zone“ von wirkenden Kräften und Beziehungen bildet. Die ephemere Besetzung der Wand vermöge eines Graffito zeigt einen Augenblick einer Auseinandersetzung von zwei Elementen, die sich verbinden und eine Zwischenraumstruktur bilden. Dieser Augenblick ist ein wichtiger Punkt meiner philosophischen Arbeit mit dem Phänomen, in welcher ich die wirkenden Kräfte zwischen einer „Wand“ und der menschlichen Kreativität sehe.

Meine erste Absicht war ein Graffito auf einer Wand zu projizieren und es eine Chance offiziell auftreffen zu geben. Im Rahmen eines Kunstwerks kann es nicht als eine Sachbeschädigung betrachtet werden und wenn es projiziert ist, stört es nicht, beschädigt es nicht, aber es existiert. Für ein Graffito das Wichtigste ist seine Existenz, eben für kurze Dauer. Die Temporalität des Graffito erhöht die Spannung seiner Verbindung mit der Wand. Mit meiner Arbeit möchte ich beweisen, dass ein Graffito die selbe Wirkung und Expressivität haben kann, unabhängig davon, dass es gesprayt oder projiziert ist. Es steht in Verbindung mit dem Hintergrund fest und bildet eine spezielle Beziehung mit ihm. In einer Projektion trifft man natürlich noch viele nicht geplanten Effekte und Resultate, aber das hilft mich mehr über mein Graffito und seine Wand zu erfahren.

Um diese Beziehung zu repräsentieren, steigere ich die Temporalität des Phänomens extrem mittels einer kurzzeitigen Projektion eines virtuellen, digital generierten Graffito. Der Hintergrund, wie ein Körper mit eigener Rauheit, Dichte und eigener Materialität trifft das virtuelles Graffito, das dagegen keine Dichte und Rauheit hat und nur mittels des Lichtes eines Projektionsapparates ins Leben kommt und sich vermöge der Materialität des Hintergrunds materialisieren kann. Der Zweck ist alle Materialitäten mit ihrer einzigartigen Struktur für kurze Zeit als Träger eines Graffito zu dienen und ein Teil eines Kunstwerks zu werden, damit verschiedene Variationen von Graffiti-Wand Beziehungen repräsentieren können.

Die Bild-Wand Beziehung: Überlegungen künstlerischer und philosophischer Art

Mein Projekt enthält zwei Teile. Der erste von denen ist das Kunstwerk, ein völlig experimenteller Teil und der zweite Teil sind theoretische Überlegungen philosophischer Art. Meine Erfahrung als Künstlerin und der Schritt, der ich im Bereich der Philosophie mache geben mir eine Möglichkeit in dieser Problematik tief einzudringen und sie zu untersuchen. Diese Präsentation ist ein Versuch, eine Forschungsarbeit selbst.

Das Experiment

Für das Experiment nehme ich als zwei aktiven Elemente, das virtuelle Graffito und drei verschiedenen Arten von Hintergründen, oder Träger: eine Leinwand, einen durchsichtigen Stoff und auch Lebewesen. Ich möchte die Beziehung, in der die beiden Elemente stehen, aktivieren, um die Spannung und die Intensität in dem intermedialen Punkt zwischen ihnen zeigen zu können. Die Elemente bezeichne ich als Schichten.

Das Graffito in diesem Fall ist ein virtuelles Bild, das ich in einer virtual reality gestalltet habe und es direkt aus der Virtualität durch das Licht vermittele. Es, als eine vollfarbige Schicht kann hier nur die Struktur einer Bildskomposition haben und weil es virtuell ist, wird seine Materialität auf das Minimum reduziert. Um diese Schicht ihre Materialität zu bekommen, braucht sie ein Mittel und eine Fläche oder einen Hintergrund, auf welchem sie ihrer Existenz verwirklichen kann. Sie braucht ihre zweite Schicht, den Träger, da sie alleine nicht bestehen kann. Also, das Graffito wird hier durch das Licht von den Projektionsapparaten auf dem Hintergrund vermittelt und nur durch das Licht übernimmt es die Struktur des Trägers. Es ist ein Bild, das ihre Leinwand sucht.

Der Träger seinerseits kann nicht außerhalb des Vorgangs der Verwirklichung der Graffito-Existenz bleiben, er muss mit seiner gesamten Struktur in diesem kreativen Vorgang involviert werden.
Als ein dritter Element kommt hier die Zwischenraumstruktur auf, die die beiden Elemente schließen, ein Intermedium. Ein Feld, das dazwischen bleibt, wo eine Verbindung zwischen dem Graffito und seinem Hintergrund geschehen und die Spannung der Kräfte des Zusammentreffens wirken.

Ich präsentiere dieses Intermedium mit folgendem Schema, um nur den Prozess des Aktes dieser Verbindung vorzustellen. Hier möchte ich das Zusammentreffen der Schichten illustrieren. Das intermediale Feld muss hier nur als ein abstraktes Feld betrachtet werden und nicht als physischen Raum zwischen zwei Oberflächen. Was das Schema hier zeigt ist nur eine Repräsentation einer Handlung.

Graffito-Wand Beziehung

Es ist ein aktives Feld von Kräften, die eine Ebene einer starken Expressivität bilden, wo, Deleuze und Guattari  (Tausend Plateaus) zufolge, „[...]ein Kreislauf von unpersönlichen Affekte [...]“ intensiv wird. Es repräsentiert den Prozess der Aktivierung einer Graffiti-Wand Beziehung. Dieser intermedialen Punkt agiert als eine Plasmenmembrane zwischen zwei benachbarten Zellen, ein Nexus, das den Spalt zwischen den beiden überbrücken und eine Verbindung erstellen. Das ist ein Prozess des Werdens – das Graffiti-Wand Werden. In diesem Prozess wird ein Gefüge eingerichtet, das als eines Ganze funktioniert. Es hat eine gesamte Struktur, eine neue Form, neue existentielle Qualitäten und eine neue Materialität. Die Eigenschaften der bisherigen zwei Schichten und ihre Funktionen werden verändert. Das Graffito ergreift die Wand, zerstört sie oder, ich wende mich wieder zu Deleuze und Guattari, deterritorialisiert sie und sich selbst, um die beide wieder zu reterritorialisieren und eine gesamte kompakte Struktur, ein Gefüge zu erschaffen.
Die Beziehung zwischen den beiden Schichten ist ein Vorgang der Vermischung der Intensitäten und Strukturen, auch ein Wechseln der Qualitäten, wie die Lebendigkeit und der Rauminhalt.
Ein solches virtuelle Graffito liegt dichter auf dem Träger und folgt seine Struktur und Form. Es übernimmt und verändert die Perspektive und die Raumstruktur des Trägers auch visuell.

Nach einer experimentelle Projektion einiger Graffiti sah ich die echte Wirkung eines virtuellen Graffito. Als eine durchsichtige Schicht, liegt ein solches Graffito anders auf dem Hintergrund und es übernimmt anders seine Charakteristika. Auch die Spannung zwischen den beiden Schichten ist verstärkt, da sie total unterschiedliche materielle Strukturen haben. Anderseits spielt ein projiziertes Bild mit unserer Wahrnehmung. Wir können dreidimensionale Oberflächen als flach akzeptieren. Der Träger kann sein Volumen verlieren und andere Dimension bekommen. Hier zeige ich Ihnen einige Photos, die meine erste Experimente mit projizierten Graffiti darstellen.

Graffiti auf dem Dach, an der Ecke
Graffiti auf dem Dach, an der Ecke

Hier kann man die beide Schichten, das Graffito und die Seiten einer Zimmerecke, gut unterscheiden. Das Graffito schließt mit der Ecke einen Zwischenraum ein, der die Form eines dreieckigen Prisma hat. In Wirklichkeit liegt das Bild auf aller dreien Seiten der Ecke, aber hier sieht es aus, dass es irgendwie vom Dach herunter hängt.

Noch ein Beispiel zeigt wie das Graffito und der Hintergrund ihrer Form verlieren und eine andere annehmen können.

Graffito auf einer Tür
Graffito auf einem Regal

In diesem Fall liegt das Bild auf der Form des Trägers und tritt ein Mal dicht auf ihm auf, ein anders Mal erscheint es im Hintergrund und kommt vom Träger zum Betrachter. Es geht durch das Hindernis, ein Regal hier, hindurch. Zugleich ist seine Bildkomposition verzerrt und die Struktur des Trägers ist auch schwer erkennbar.

Alle Beispiele illustrieren nur Variante des Spiels des virtuellen Graffito mit seinem Träger. Das erwartete Resultat des Experiments ist die Wirkung eines projizierten Graffito auf verschiedenen Flächen und auch die Spannung in der aktiven Zwischenzone, die immer anders zu Stande kommt und gesehen wird.

Das Lebewesen als Träger war die nächste große Herausforderung für mich. Mit dem nächsten Beispiel (Bild 5)zeige ich wie mein Graffito auf einer „menschlichen Wand“ wirkt. Es hat die Kompaktheit seiner Komposition im Zusammentreffen mit den menschlichen Figuren gebrochen und sich auf alle Ebenen des Hintergrunds und Raumes verteilt. 

 

Graffito auf Lebewesen
Graffito auf das Publikum (während des Symposiums)

Das Graffito liegt ein Mal auf den menschlichen Figuren, die zwei Reihen bilden, dann lässt es sich auf die Dialeinwand dahinter gleiten und ein Paar Details werden auf der Wand ganz nach Hinten verteilt. Also, hier haben wir drei Ebenen auf welcher das Graffito liegt und sie durch seine Existenz verbindet. Es verändert seine eigene Struktur auch, es dehnt sich während des Übergehens durch die Ebenen und den Raum aus und alle Elemente, die in diesem Akt der Geburt des Graffito im Raum involviert werden, beziehen sich auf einander. Eine intermediale Verbindung zwischen den menschlichen Figuren, der Leinwand, der Wand nach Hinten und dem Raum selbst konstituiert ein Gefüge. Es gibt keine Menschen mehr, keine Wände – es gibt nur ein Graffito-Träger Wesen.

Auf diese Art und Weise wirkt die Beziehung zwischen einem realen gesprayten Graffito und allen möglichen Hintergründen für es. Mit diesem isolierten Fall im Rahmen eines Experiments habe ich versucht, das Graffito und sein Träger getrennt aus ihrer Umgebung von noch weitere Beziehungen und aktiven Felder zu analysieren.

Mit dieser Arbeit erfülle ich zwei von meinen Absichten – ein Gefüge von Graffito-Träger ins Leben zu rufen, es zu beleuchten und zu untersuchen. Ein projiziertes Graffito ist theoretisch nicht entfernbar. Es kann immer wieder verwirklicht sein, seine Dauer ist vorher bestimmbar und kann immer verlängert werden. Damit schaffe ich dem Graffito die Chance zu geben, es seine Existenz zu verwirklichen, seine Temporalität zu behalten und nicht entfernbar zu sein.

Für die Verwirklichung dieser Arbeit bedanke ich mich bei Prof. Elisabeth von Samsonow, Dr. Stephen Zepke, meiner Schwester Gergana Terzieva, Bettina Lohse und allen KollegInen, die meine erste menschliche Wand aufgebaut und dokumentiert haben.


 

©2006, Desislava Terzieva und Institut für Graffiti-Forschung (ifg). Weitere Beiträge von Frau Terzieva finden sie in der Graffiti-Enzyklopädie: http://www.graffitieuropa.org/enzyklopaedie.htm - Suchbegriffe "Bulgarien", "Terzieva"

 

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